„Was zur Hölle machst du da?!“, schnauze ich Iskaii an, als ich in mein Arbeitszimmer komme und sehe, dass er sich durch meine Notizzettel und -bücher wühlt und dabei achtlos alles zur Seite wirft.
„Herausfinden, was du planst.“ Seine Antwort ist knapp und er achtet mich nicht eines Blickes.
„Ach und dich ankündigen oder an der Haustür klingen wie normale Menschen ist nicht dein Ding?“
Jetzt dreht er den Kopf zu mir und zieht eine Augenbraue in die Höhe.
„Sorry, hatte kurz verdrängt, dass du kein normaler Mensch bist.“
„Ich bin ein Namród“, knurrt er mir zu und widmet sich dann wieder meinen Notizen.
„Ehrlich? Nein! Wie konnte ich, als deine Erschafferin, das nur vergessen“, sage ich sarkastisch und stelle den Redbull ab. „Was wird das, Iskaii?“
„Sagte ich bereits. Ich versuche herauszufinden, was du planst.“
„Weißt du, du könntest mich einfach fragen.“
Iskaii lässt ein schwarzes Notizbuch mit der Aufschrift „Projekt Schatten“ fallen und richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Wieder einmal frage ich mich, warum ich aus ihm nicht einen Zwerg gemacht habe. Mit seinen 1,90 m überragt er mich um fast 30 Zentimeter und ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen.
„Ich werde seit Tagen von einer Szenerie in die nächste katapultiert. Selbst nachts komme ich nicht zum Durchatmen, weil dein wirrer Geist nicht damit aufhört. Du schickst mich von einem Gasthaus auf ein Schlachtfeld, auf ein Pferd, in eine Unterredung mit Dandelia, zu einem Kampf mit einem Zórgulyth und wieder zurück. Wann also gedenkst du mir die Ruhe zu gewähren, um dich einfach zu fragen?“
„Whoa, atme Iskaii“, versuche ich den Krieger zu beruhigen, dessen Hand nun auf seinem Schwertgriff ruht und auch, wenn er den Griff nicht umklammert, weiß ich, wie unglaublich schnell er es ziehen und damit töten kann. Ich habe diesen verdammten Killer ja schließlich erschaffen.
„Du hast Angst vor deiner eigenen Schöpfung“, bemerkt er und ein Mundwinkel hebt sich kaum merkbar, aber deutlich voller Spott.
„Du weißt, ich kann dich auch einfach töten. So eine Schlacht wird schnell unübersichtlich und Schwups, hast du einen Dolch in der Kehle.“
Iskaiis grüne Augen funkeln bedrohlich und seine Stimme ist so süß wie Honig, als er spricht: „Du müsstest einiges Umschreiben, wenn du mich in der Schlacht tötest. Ganz davon abgesehen, dass diese Schlacht vermutlich ein paar Charakteren mehr das Leben kostet. Charaktere, die du möglicherweise noch brauchst.“
„Wer sagt, dass ich dich brauche? Oder all die anderen? Erinner dich, wir hatten so viele mögliche Enden. So viele mögliche Tode. Glaubst du, ich bin nicht in der Lage, das Jetzige einfach zu ändern? Ganz so, wie ich Band 2 einfach ändern werde.“
Iskaii stockt und ich sehe, dass es in ihm arbeitet. Er versucht, mich zu lesen, die Wahrheit und die Lüge in meinen Worten zu erspähen. Ich muss grinsen. Der Krieger mag mir körperlich überlegen sein und vermutlich könnte er mich binnen eines Wimpernschlages töten, aber er kann mich nicht lesen. Das Chaos in meinem Kopf und die Planlosigkeit, die mich durch die Tage trägt, sind für ihn nicht greifbar. Da ist nichts, was ihm hilft herauszufinden, was ich plane. Denn ich plane nicht. Ich mache einfach.
„Du wirst Band 2 ändern?“, fragt er schließlich und ich nicke. Es ist keine große Kunst das zu enthüllen. Durch die Änderungen in Band 1 ergeben sich zwangsläufig notwendige Änderungen in Band 2. Aber …
„Es bleibt nicht bei notwendigen Änderungen“, führt Iskaii meinen Gedanken aus und ich nicke.
„Weshalb? Was ist falsch an dem, was wir dort durchleben? Oder gedenkst du, mich diesmal rechtzeitig zu warnen?“
„Damit dir Leid erspart wird? Du solltest mich besser kennen.“ Jetzt habe ich die Oberhand und ich gehe an ihm vorbei zu meinem Schreibtisch und sortiere das Chaos, welches er veranstaltet hat.
„Warum haben dich die Notizen zu Sam und Connor interessiert?“, will ich wissen und stelle das grüne Buch zurück in den Schrank. Dieses Projekt muss leider noch warten.
„Haben sie nicht. Doch ich dachte, bei deinem wirren Geist, sind womöglich auch deine Aufzeichnungen unkoordiniert und wild durcheinander.“
„Ich mag ja wirklich die komplette Chaotin sein, aber in meinen Notizen herrscht Ordnung. Zumindest werden keine Projekte vermischt.“
Wieder bekomme ich eine erhobene Augenbraue als Antwort und weiß sofort, worauf er anspielt.
„Das auf dem Friedhof war was anderes. Nicht geplant und spontan. Und es war doch lustig, oder?“ Sein Schweigen ist Reaktion genug und ich lasse das Thema auf sich beruhen und stelle ein blaues Notizbuch zurück. Es hat keine Aufschrift, aber ich weiß, dass darin die Notizen zu einem Projekt schlummern, dass es noch auf Chapters gibt und welches ich unbedingt neu und mit viel mehr Bums schreiben möchte. Irgendwann. Vielleicht 2030 oder so?
Iskaii schweigt immer noch und beobachtet mich. Ich weiß, dass ich ihn nicht loswerde und somit zu nichts komme, wenn ich ihn ignoriere, also gestehe ich: „Band 2 wird umgeschrieben. Zumindest die erste Hälfte.“
„Aus welchem Grund?“
„Weil es halbherzig ist.“
„Halbherzig?“
„Es ergibt keinen Sinn.“
„Auf einmal?“
„Ja.“
„Weshalb?“
„Weil ich beim Überarbeiten für die Testleser nicht voll da war. Es ist alles ein bisschen trist …“
Iskaii schweigt wieder. Aber diesmal nicht, weil es ihm nicht gefällt, sondern weil er versteht. Er mag ein Arsch sein. Eiskalt und berechnend. Doch es gibt da etwas in ihm, dass getriggert wird, wenn er wie jetzt erkennt, was vor sich geht.
„Fein, schreib es um. Aber werde dir endlich einig, was du mit mir vorhast, denn ich würde nur zu gerne mal wieder eine Nacht schlafen.“
Als ich mich umdrehe, um noch etwas zu sagen, ist er bereits verschwunden.
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